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Stand: 08.02.2009
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Das Urteil
Eine Seite DIN A4 wiegt 5g, meine Akte zum Segway-Versicherungsstreit
2428g. Es bedurfte etlicher Schriftsätze, jeder Menge Geduld und
der nimmermüden, engagierten Unterstützung durch den
Rechtsanwalt Andreas Hardt,
der sich die Rechtsfrage "Versicherungspflicht bei Fahrzeugen ohne
Betriebserlaubnis" ebenfalls zur Lebensaufgabe gemacht hat. Viel
aufbauender Beistand kam auch von Frau Kleinert aus dem Sekretariat der
Kanzlei Hardt&Fritz.
Als Lohn der Mühe haben wir die rechtskräftige Antwort nun
schwarz auf weiss (für Rechtsfetischisten hier in Langfassung):

Weiter heißt es: "Die
Voraussetzungen des Zustandekommens des Vertrages durch
Annahmefiktion liegen vor. Der Kläger hat unter dem 16.03.2007 bei
der
Beklagten den Abschluss eines Versicherungsvertrages über eine
Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung beantragt, den die Beklagte
erhalten und
unter dem 21.03.2007 abgelehnt hat. Es liegen keine
Ablehnungsgründe gem. §5
Abs. 4 PflVG vor."
Segways gelten als Kraftfahrzeuge (§1 Abs. 2 StVG). Bevor sie
im öffentlichen
Verkehr benutzt werden dürfen, muss eine Haftpflichtversicherung
abgeschlossen sein (§1 PflVG). Damit will der Gesetzgeber
sicherstellen, dass
potentielle Verkehrsopfer Ihre Schadensersatzansprüche in jedem
Fall realisieren können. Die Versicherungspflicht gilt
deshalb nicht nur für die Fahrzeughalter, sondern
gleichermaßen
für die Versicherungsunternehmen. Die Versicherungsgesellschaften
können sich Ihre Kundschaft in diesem Bereich nicht aussuchen,
sondern
unterliegen einem Kontrahierungszwang (§5 Abs. 2
PflVG). Ihre bisherige Praxis, Versicherungsanträge
bei fehlender Betriebserlaubnis zurückzuweisen, ist rechtswidrig,
da kein zulässiger Ablehnungsgrund vorliegt (siehe §5 Abs. 4
PflVG). Solche Ablehnungen
(mit denen so mancher Segway-Besitzer
seine Wohnung tapezieren könnte) sind unwirksam, der
Versicherungsvertrag gilt trotz Ablehnung als rechtswirksam
abgeschlossen. Das nennt sich Annahmefiktion und ist in §5
Abs. 3 und 4 PflVG geregelt. Die strafrechtliche Konsequenz: Eine
Verurteilung des Fahrzeughalters zu einer
bis zu einjährigen Haftstrafe wegen fehlender Versicherung
(§6 PflVG) scheidet dann aus. Hätten
Polizei, Staatsanwaltschaft oder ich das rechtzeitig gewusst, wäre
uns so mancher Ärger erspart geblieben (vgl. Teil 4).
Nach dem Motto 'doppelt genäht hält besser' haben wir
dieses Ergebnis noch
in einem Parallelverfahren mit der Zurich AG
bestätigen lassen. Das Amtsgericht Köln
urteilte unter dem Aktenzeichen 128 C 110/07 am 15.01.2009: "...
erweist
sich zur Überzeugung des Gerichtes die Ablehnung des
Versicherungsschutzes durch die Beklagte als rechtswidrig mit der
Folge, dass sie verpflichtet war, für das Versicherungsjahr
01.03.2007 bis 28.02.2008 Deckung zu erteilen und den Kläger von
Ansprüchen Dritter freizustellen. Der Versicherungsvertrag gilt
damit nach §5 PflVersG als geschlossen."
Der Provinzial AG half auch ihre Berufungsklage nichts, in der
nächsten Instanz wurde die Kammer des Landgerichtes unter dem
Vorsitz des Vizepräsidenten Dr. Krönert sogar noch deutlicher:
Die Auskünfte der Versicherungsunternehmen, "wir sind
gezwungen die Betriebserlaubnis zu kontrollieren" oder "wir dürfen
ohne Betriebserlaubnis keinen Versicherungsschutz erteilen" sind damit
Lügen gestraft. Das genaue Gegenteil
ist der Fall, die Versicherer müssen unabhängig von der
Betriebserlaubnis Versicherungsschutz gewähren und dürfen
wegen einer fehlenden Betriebserlaubnis keine Ablehnungen aussprechen.
Dies gilt nicht nur für Segways, sondern für alle
Kraftfahrzeuge. Private Versicherungsgesellschaften besitzen eben keine
(wie im Rechtsstreit von ihnen behauptet) "quasi hoheitlichen
Aufgaben", die es ihnen erlauben, "letztlich zu entscheiden, ob ein
Fahrzeug am Verkehr teilnimmt oder nicht". Und das ist gut so.
Anderenfalls sähe es für
die Einführung innovativer Fahrzeugkonzepte noch viel
finsterer aus.
Erstes Lübecker Segway-Treffen
Die Gemeinde der Segway-Fahrer wächst auch in Lübeck und
Umgebung langsam aber stetig. Am 1.
Mai 2008 versammelten wir uns zum "Ersten Lübecker
Segway-Treffen". Das
Wetter spielte recht gut mit und so hatten wir viel Spaß auf
unserer
gemeinsamen Ausfahrt. Für kurze Aufregung sorgte ein
kleiner Segway-Auffahrunfall unter den Teilnehmern sowie
die vatertagsbedingte Rempelei eines angetrunkenen Jugendlichen. Beides
ging glimpflich aus und konnte die gute Stimmung nicht
beeinträchtigen.
Abschließend gab es bei einem Getränk in lockerer Runde
Gelegenheit zu Fachsimpelei und Erfahrungsaustausch. Dabei wurde auch
die teilweise unverständliche Vertriebs- und Preispolitik der
Firma Segway diskutiert. Das andauernde, hohe Preisgefälle
zwischen Grauimporten und lokalen Segway-Händlern frustriert
Kunden und Händler gleichermaßen. Und die Import-Kunden
später mit bewusst schlechtem Service für ihre
Segway-Kaufentscheidung bestrafen zu wollen, schadet mit Sicherheit
nicht nur den betroffenen Kunden und Importeuren.
Einhellige
Meinung: Das sollte nicht das letzte Lübecker Segway-Treffen
gewesen sein. Wer Interesse hat, mit seinem Segway beim nächsten
Mal mit dabei zu sein, sende mir einfach diese
kurze Mail.
Google Earth
Wer Google Earth installiert
hat, kann die Route des ersten
Treffens hier noch einmal nachverfolgen. Und wo wir gerade dabei
sind: Für Segway-Enthusiasten gibt es noch ein paar weitere
interessante Orte: Dazu gehören die Produktionsstätte von Segway
Inc. in Bedford, das Wohnhaus "WestWind"
des Segway-Erfinders Dean Kamen sowie seine eigene, kleine Insel "North Dumpling Island". Und
noch eine Kuriosität: Als Lübeck fotografiert wurde,
parkte mein i167-Segway vor dem Garten
eines Freundes, mit dem ich gerade Schach spielte. Dort ist
er nun gut sichtbar: Helle Lenkertasche, graue Schutzbleche über
den Rädern, schwarze Trittmatte. Selbst der Schattenwurf in
nordöstlicher Richtung zeigt deutlich die Segway-Kontur.
Mein Segway
hat im Spätherbst 2008 seinen Geist aufgegeben. Mit einem kleinen
Knall verabschiedete sich das integrierte Batterie-Ladegerät. Der
Segway
fährt zwar weiter uneingeschränkt, aber die Batterien werden
nun trotz grüner Kontrollleuchten nicht mehr geladen.
Bei meinem Segway (Baujahr März 2003) ist das Netzteil noch
vergossen und
lässt sich nicht auseinandernehmen. Es kommt nur der komplette
Austausch der Control Shaft Base (CSB) in Frage. Wie gut, dass Segway
USA inzwischen mit der Segway GmbH eine deutsche Niederlassung
gegründet und in Garching bei München ein 280m²
großes Service Center eingerichtet hat, um Servicefälle
schnell und effizient abzuwickeln.
Mein
Anruf bei Lutz Mätschke verläuft jedoch enttäuschend: Um
den offiziellen Vertriebskanal zu schützen und Grauimporteure
auflaufen zu lassen, wird das Service Center nicht direkt für
Endkunden tätig. Man soll alles über den Händler
abwickeln, bei dem man sein Fahrzeug gekauft hat. Er sieht zwar ein,
dass ich 2003 noch keine Chance hatte, bei einem deutschen Händler
zu kaufen. Trotzdem könne er mich
nicht mit Ersatzteilen beliefern. Außerdem gäbe es die CSB
sowieso nur noch mit den neueren Elcon-Steckverbindern und die passen
nicht zu meinem Hypertronics-Lenker. Mit einem Austausch der CSB sei
es also nicht getan, auch die Verkabelung des Lenkers müsse
ersetzt werden.
Unter diesen Bedingungen erscheint mir die Reparatur meines durch
reichliche Nutzung insgesamt schon recht lädierten Fahrzeugs zu
aufwendig. Vielleicht sollte ich mich lieber nach einer Alternative
umsehen. Ob Segway demnächst eine dritte Fahrzeuggeneration auf
die Beine stellt? Gemunkelt wird von kleiner, leichter, preiswerter und
mit faltbarem Lenker. Andererseits scheint Segway personell (z.B.
wechselte Entwicklungschef Douglas Field zu Apple) und finanziell
inzwischen deutlich geschwächt, das drückt sicherlich auch
auf das Innovationstempo.
Zulassung
"Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie" (Helmut
Schmidt im ZEIT-Interview am 19.10.2003). Und er legt noch
nach: "Die deutsche ist allerdings besonders langsam". Wo steht also
unsere lange versprochene bundesweite Segway-Zulassung? Richtig: In den
Sternen.
Dabei wird seit Jahren emsig daran gearbeitet. Schon Verkehrsminister
Dr. Manfred
Stolpe war damit befasst. Der
Bund-Länder-Fachausschuss für Verkehrsfragen hat das Thema
Segway mehrfach beraten und den
Pilotversuch im Saarland initiiert. Der Bundesrat fordert ebenfalls die kurzfristige
Zulassung des Segways:
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
(BMVBS) entwarf dazu einen Verordnungsentwurf. Den legte es etlichen
Verbänden (ADFC, ADAC, FUSS e.V., GDV...), den sogenannten
"beteiligten
Kreisen", zur Stellungnahme vor. Aus den unterschiedlichen
Stellungnahmen resultierte weiterer Diskussionsbedarf. Deshalb wurde
die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) beauftragt, ein
Expertengespräch durchzuführen. Die Ergebnisse dieses
Workshops befinden sich in der Auswertephase. Zudem wurde ein
Abstimmungsprozess zwischen den Bundesländern eingeleitet, der in
einer einheitlichen Haltung der Länder zu den
Segway-Zulassungsbedingungen münden soll. Offensichtlich wird mit
allergrößter Sorgfalt für eine fundierte Verordnung
gearbeitet - toll. Zu einem Ergebnis
zu kommen, wäre natürlich noch besser.
Worauf können wir uns schon freuen, was steht in dem
Verordnungsentwurf? Keine Ahnung, das ist
geheim. Das BMVBS schreibt mir auf meine Bitte, den Entwurf
einsehen zu dürfen, "dass die Übersendung eines Verordnungsentwurfes
an Privatpersonen im Rahmen der Anhörung beteiligter Kreise nicht
vorgesehen ist".
Wie schön, dass dem Ministerium aus den Verbänden zahlreiche Lobbyisten
kompetente Segway-Experten beratend zur Seite stehen. Da ist
es verständlich, dass die betroffenen Segway-Fahrer nicht
auch
noch zu den "beteiligten Kreisen" gezählt werden. Was sind schon
sechs Jahre Fahrpraxis, etliche tausend Kilometer Fahr- (und Unfall-)
Erfahrung sowie die daraus (unfreiwillig) resultierenden Kenntnisse in
Verkehrsrecht? Demokratie hin, Demokratie her, wenn es um Politik
geht, halten mündige Bürger besser ihren Mund. Versteh ich
alles, aber lesen - warum darf ich nicht lesen?
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